Februar 2021 – Die kalte Zeit

 

Wir schreiben den 27. Februar des Jahres 2021 Anno Domini. Wandel liegt spürbar in der Luft. Doch vorher gilt es, über den fast abgelaufenen Monat zu rapportieren.

 

Auf der Nordhalbkugel gilt der Februar als der kälteste der drei kalendarischen Wintermonate, da die Atmosphäre mit Verzögerung auf die Verringerung der Sonneneinstrahlung reagiert. Folglich, obgleich die Tage wieder länger werden, herrschen zu dieser Zeit tiefe Temperaturen und es kann zu Schneefällen kommen.

Und das war die nette Umschreibung dieses Winters bei mir. Wir beginnen chronologisch.

 

Zu Beginn des Monats gab es, wie ich im Januarblog notierte, nachts durchweg Minusgrade, tagsüber erreichte man den Nullpunkt und es schneite immer mal wieder. Dies änderte sich jedoch schlagartig. Als ich am 03.02. noch ein wenig länger in Kalmar blieb, um mal einen seltenen Stadtbummel zu machen und somit circa drei Stunden später als gewöhnlich heimkam, merkte ich bereits auf den Straßen Ölands, dass der Wind doch enorm zunahm. Der kräftige Ostwind trieb dabei den leichten Pulverschnee ohne Mühe auf die Fahrbahn und es entstanden Schneewehen. Ich gelangte an der Auffahrt zu meinem Häuschen an und stellte fest, dass die gesamte 15 Meter lange Zufahrt eine einzige Schneewehe war. Mein Vermieter, der direkt neben mir wohnt und eine Schneefräse besitzt, war natürlich um 19 Uhr schon im Bett und somit keine Hilfe. So blieb mir nur die Option, die Schneeschaufel zu nehmen und das Schippen anzufangen.

Lasst es mich so sagen: Es macht keinen Spaß, 15 Meter von 50cm hohem Schnee zu befreien, wenn dabei -10 Grad und Wind involviert sind.

Doch ich schaffte die ‘letzte Meile‘ bis heim, zweifelnd, ob ich am nächsten Morgen auf die Arbeit kommen würde.

Und damit sollte ich recht behalten.

 

Mein freigeschaufelter Weg war nicht mehr existent. Selbst die Straße war nicht befahrbar, obwohl im Halbstundentakt Traktoren mit Schneeschaufeln die weiße Last zu räumen versuchten. In der betreffenden Woche war ich drei Tage eingeschneit. Zwar ließ der Wind etwas nach, aber nun schlug der Lake – Effekt zu. Und das Niederschlagsband lag, wie konnte es anders sein, genau über mir. So bekam ich innerhalb einer Nacht 40 cm Neuschnee. Als der Schneefall endlich nachließ, sanken die Temperaturen dann endgültig ab. Am 05.02. lag die Morgentemperatur bei -19 Grad Celsius und wir hatten eine Schneehöhe von 58cm. Wohlgemerkt auf freier, ebener Fläche. Die Schneewehen hatten eine Höhe von 1,64m. Das war an den Schneestecken am Straßenrand leicht abzulesen.

Der Kalmarsund fror zu großen Teilen zu, sodass man im Hafen von Färjestaden manch einen auf der gefrorenen Ostsee wandern sah.

Nach zwei Tagen waren die Straßen dann soweit frei, dass man auf ihnen fahren konnte. Vorher jedoch schippte ich erneut die Einfahrt frei. Wenn ihr euch fragt, warum ich schippte, wenn mein Vermieter eine Maschine dafür hat, dann sage ich dazu, dass der Geräteschuppen mitsamt der Maschine zugeweht war. Als ich nach drei Stunden die komplette Auffahrt und die Stellplätze von der Arktis befreit hatte, kam mein Vermieter und meinte, dass das nicht nötig gewesen wäre, weil er ja eine Maschine daf.... (ungläubiger Blick des Vermieters in Richtung des Gerätehäuschens). Ich zitiere: „Oh, verdammte Scheiße!“. Ein „Danke“ kam nicht.

 

Naja, jetzt waren Schnee und Kälte vollends da und schienen keinen Gefallen am Gehen zu finden. Aber ich konnte wieder arbeiten. Zurück auf der Arbeit, machte man kollegiale Späßchen über meine Lage, aber wir waren alle froh, dass ich wieder da war. Besonders Markus, mein Kollege und Klassenlehrer der 1. Klasse, war sehr erfreut. Er sagte mir, dass man es direkt bemerkt hätte, dass nur ein Erwachsener in der Klasse war.

In der Klasse habe ich feste Aufgaben. Ich habe bereits von der Kleingruppe und der Arbeit mit dem dyslexischen Jungen berichtet. Diesen Monat habe ich zudem Übersicht über einen Mathetest bei einer Kleingruppe geführt, wobei ich drei Textaufgaben vorlas. Es ist sehr zufriedenstellend, wenn man merkt, dass man sich in der Fremdsprache mitteilen kann und verstanden wird. Noch letzte Woche sagte mir eine Mutter, wie beeindruckt sie wäre, wie schnell ich die Sprache gelernt hätte. Das geht natürlich runter wie Öl.

 

Mitte des Monats, als in Deutschland Karneval gewesen wäre, war hier in Schweden `fettisdag‘, zu übersetzen mit `Fetter Dienstag`. Auch wenn es hier keinen Karneval gibt, dem Himmel sei Dank, so hat das Christentum nicht das Beichten oder das Fasten vernachlässigt. Einen Tag vor Aschermittwoch, dem Beginn der Fastenzeit, schlagen die Schweden mit ‚semlor‘ nochmal zu. Dabei handelt es sich um kleine Windbeutel. Besonders zu empfehlen mit einer heißen Schokolade und Kollegen bei einer Fika. Der Hintergrund ist mir nicht bekannt, aber ich finde es irgendwie faszinierend, wie ähnlich die Bräuche mit den Nachtischen sind, obwohl zwischen Kalmar und meinem Zuhause 1.300km liegen. Ich kann es mir nur geschichtlich vorstellen, dass diese Bräuche über Handelsrouten oder gar über christliche Aspekte ausgetauscht wurden. Wenn ihr mehr Informationen habt, immer her damit.

 

Wo wir gerade bei Routen und Wegen sind: Jeden Tag fahre ich zwei Mal über die Ölandbrücke. Jetzt, zum ersten Mal seit August, habe ich erlebt, dass dieses Nadelöhr mal dicht war, weil es zu einem Unfall mit Blechschaden kam. Aber es reichte, damit ich eine halbe Stunde in Richtung Öland im Stau stand. Zeit genug, um die Zeit zu nutzen und mal ein wenig über dieses Meisterwerk des Brückenbaus zu recherchieren. Schnallt euch an.

Die 1972 gebaute Ölandbrücke (‚ölandsbron‘) verbindet auf 6,072km das schwedische Festland mit Öland und gilt somit als eine der längsten Brücken in Europa. Bis 1998 war sie sogar die längste Brücke des Kontinents. Hört, hört. Gestützt von 156 Pfeilern, ist sie am westlichen Ende hin mit einer 36m - Erhöhung ausgestattet, damit Schiffe den Kalmarsund unter ihr hindurch passieren können und nicht um ganz Öland rumfahren müssen. Wenn stärkerer Wind weht, ist diese Erhöhung besonders lustig zu fahren. Die bekanntere Öresundbrücke ist zwar länger, aber auch zu Teilen auf dänischem Territorium, was die vierspurige Ölandbrücke zur längsten reinschwedischen Brücke macht. Viereinhalb Jahre dauerte der Bau und war mit knapp acht Millionen Euro verglichen mit manchem Hauptbahnhof oder Flughafen ein Schnäppchen. Soviel also dazu.

 

Der Februar steht in Schweden ganz im Zeichen des ‘melodiefestivalen‘. Ich sah dies zuerst im Flur zur Fritid, wo die Kinder ihre Namen auf Zettel mit Gesichtern schreiben und somit ihre Favoriten bestimmen konnten. Jeden Samstag im Februar findet das Melodiefestival statt – das schwedische Pendant zum ESC – Vorentscheid. Allerdings ohne Barbara Schöneberger!

Die Schweden lieben Musik und den ESC. Fiele den Deutschen vermutlich auch leichter, wenn man wie die Schweden jedes Jahr zum Favoritenkreis zählen würde. Pro Woche treten fünf Interpreten/ Gruppen mit ihrem Lied an und die Zuschauer bestimmen dann, wer ins Finale einzieht. Ich hab da mal reingeschaut und festgestellt, dass auch viele schwächere Lieder von der Partie sind. Aber selbst die sind teils besser als das, womit Deutschland zum ESC fährt. Auf jeden Fall kann ich jetzt besser verstehen, warum Schweden immer recht gut abschneidet, wenn sie über einen vollen Monat einen Sieger feststellen.

 

Jetzt am Ende des Februars angekommen, stand für die meisten Kinder eine Woche ‘sportlov‘ an. Diese Woche Ferien waren die ersten Ferien seit den Weihnachtsferien vor sechs Wochen und damit die längste Zeit im Schuljahr ohne Unterbrechung. Aber die Fritid hatte auf und so veranstalteten wir mit den Kindern jeden Tag etwas Besonderes. Einen Tag waren wir auf Lindö, einer kleinen Halbinsel mit Wald, Fußball – und Grillplatz; einen Tag war Spa – Tag, an dem man sich die Finger lackieren lassen konnte, eine Gesichtsmaske bekam (beides Jungen und Mädchen gleichermaßen) oder einfach ein wenig bei meditativer Musik auf einer Matte lag. Zudem gab es eine Talentshow und einen Kinotag. Alles in allem entspanntes Arbeiten.

 

Und nun das aktuelle Wetter zum Abschluss.

Um den 20.02. herum drehte der Wind von Nord auf Südwest. Während in Deutschland Vorfrühling herrschte, stiegen auch hier die Temperaturen soweit an, dass der Schnee zu schmelzen begann. So schnell wie er kam, ist er nun größtenteils auch schon wieder weg, was mir persönlich sehr recht ist. Es soll nächste Woche nochmal kühler mit Minustemperaturen in der Nacht werden, aber aktuell sind es zehn Grad und man fühlt, wie die Natur, aber auch die Menschen, die wärmere Luft und die Sonne genießen. Größere Schwärme von Vögeln sind heute Morgen angekommen. Ich kann die Art leider nicht bestimmen, gehe aber davon aus, dass es sich um Tiere handelt, sie so langsam zu ihren Brutplätzen in Nordschweden hochziehen. Darunter auch arktische Singschwäne. Alleine, dass man wieder mehr Vögel sieht und vor allem hört, macht es einem leichter ums Herz. Und besonders schön ist es, dass ich nach drei Wochen Pause heute Morgen endlich mal wieder ans Meer gehen konnte. Vor zwei Tagen dann wurde am Flugplatz in Kalmar ein neuer schwedischer Temperaturrekord aufgestellt: +16,8 Grad. Das sind mal knapp 36 Grad mehr als noch zu Beginn dieses ereignisreichen Monats. Doch nun kommt ein neuer März!

 

Wir lesen uns in einem Monat!

Bis dahin, macht es gut.

 

Stephan

 

 

März 2021 – Frühling und Eigenarten

 

Hejsan allihoppa. Den här bloggen tänkte jag att börja helt på svenska. Mars är nästan slut. Därför skriver jag en ny rapport vad som hände. Dǻ kör vi!

Hallo alle zusammen. Diesen Blog dachte ich mir, mal komplett auf Schwedisch zu beginnen. Der März ist fast vorbei. Deshalb schreibe ich einen neuen Blog über das, was passierte. Los geht’s!

 

Zu Beginn des Monats saßen meine Mentorin Judith und ich in der Sonne und reflektierten gemeinsam über den Februar. Das ist vertraglich so festgeschrieben und weil Judith Ende Februar krank war, machten wir dies also nun Anfang März. Beim Blick auf den Kalender fiel ihr auf, dass bald der erste Donnerstag im März sei (‚första torsdag i mars‘). ‚Joa, ok. Und jetzt?‘, dachte ich mir nur. Nichts Besonderes, oder? Auf Nachfrage erhielt ich neben einer Antwort auch eine kleine Linguistik – Vorlesung. In Småland, wo ich lebe, ist es so, dass man den Laut /r/ nicht betont. In etwa wie im Rheinland. Deshalb klingt der erste Donnerstag im März hier so: ‚Fösta tusdag i mass‘. (Der Laut /o/ wird oft zum /u/). Sonst rollt man das R in Schweden mit Inbrunst. Wie es jetzt zu folgender Tradition kam, weiß ich nicht, aber hier in der Gegend gibt es an diesem ersten Märzdonnerstag in allen Betrieben und Institutionen Torte (‚torta‘).

 

Mit Vorfreude im Magen kam ich an besagtem Donnerstag auf der Arbeit an und wurde bitterlich enttäuscht. Von Torte war weit und breit keine Spur. Vorwurfsvoll wandte ich mich an Judith. Anscheinend bekam nur die Schulleitung Torte. Der Sozialstaat Schweden hatte meine Kollegen und mich schmerzlich im Stich gelassen.

 

In jener Reflexion mit Judith kamen wir zudem auf eine weitere Besonderheit. Lebt man in Schweden, bekommt man eine Bank – ID, ähnlich der Steuernummer in Deutschland. Mit dieser ID kann man hier alles machen. Sie gilt als Unterschrift auf Onlineverträgen, man macht Arzttermine damit fest und dergleichen. Und ich denke mir, dass es diese ID ist, die Folgendes ermöglicht: Sie erschafft den gläsernen Menschen.

Geht man auf die Seite ‚hitta.se‘, also ‚finden.se‘ und gibt den Namen der zu stalkenden Person ein, so erhält man alles. Im Endeffekt ist es mit einem Blick ins Melderegister, Grundbuch und teils auf’s Konto gleichzusetzen. Man kann den vollen Namen sehen, wo die Person mit wem zusammenwohnt, wie viel Miete man zahlt, wann man Geburtstag hat, wie viel das Eigenheim wert ist und so weiter.

‚Äh, Datenschutz?‘, mögt ihr euch fragen. ‚Pustekuchen‘, sage ich da nur. In Schweden hat man kein Problem mit dieser Transparenz. Selbst Lohnzettel werden hier nicht im Briefumschlag, sondern lediglich in der Mitte gefaltet ins offene Postfach der Person gelegt. Wenn man wollte, könnte man nachschauen. Andere Länder, andere Sitten.

 

Themenwechsel

Bevor ich in Schweden ankam, fand ich mein kleines Häuschen auf der Seite ‚blocket-bostad.se‘. Den Mietvertrag setzte mein Vermieter bis Ende April fest, weil er das Haus laut Gesetz nicht auf einmal länger vermieten dürfe. Er ließ die Option, zeitig einen neuen Mietvertrag für den Rest des Aufenthaltes zu machen. Nachdem ich die Miete für April überwiesen hatte, ging ich also zu meinem Vermieter und fragte nach jener Verlängerung. Die bekam ich zum Glück auch. Nach einigem Hin und Her war es meinem nicht sonderlich technikaffinen Vermieter dann gelungen, die Mietverlängerung online zu regeln, mit seiner Bank – ID zu unterzeichnen und die Sache damit in trockenen Tüchern. Also kann ich im Haus wohnen bleiben, bis ich im Sommer wieder heimfahre. Ein Kollege hatte mir als Ersatz schon seinen Wohnwagen angeboten, sollte ich plötzlich ohne Bleibe dastehen. Fand ich ein nettes Angebot.

Da meine Zeit hier so langsam in die finale Phase geht, stand diesen Monat zudem Bewerbungenschreiben auf dem Zettel. Anfang April werde ich die ersten Bewerbungen rausschicken.

Nach diesem bürokratischen Kapitel möchte ich mich nun einem anderen Thema zuwenden.

 

Jeden Freitag haben die Kinder in der ersten Klasse eine Lektion SO, ähnlich Sachkunde. Jeden Montag gibt Marcus einen Hinweis (‚ledtrad‘) zum ‚grej of the week‘, dem Ding der Woche. Das ist unser aller Lieblingsfach. Selbst Marcus, der die Präsentationen erstellt, strahlt immer wie ein Honigkuchenpferd. Das Ding der Woche kann alles Mögliche sein. Vom Eisbären, über die Terrakotta – Armee in China, Harry Potter und Area 51 war schon alles dabei. Der Hinweis, den wir bekamen, lautete: Drei in einem Paar.

Die Kinder und ich zermarterten uns das Hirn, ich fragte Kollegen, bearbeitete Marcus, doch wir kamen nicht auf die Lösung. Also mussten wir bis Freitag warten.

Habt ihre eine Ahnung, was es sein könnte? Die Aufklärung folgt später. Aber nicht am Ende, weil ich weiß, dass ihr sonst einfach runterscrollt.

 

 

Nach diesem kalten Februar fühlen sich schon wenige Plusgrade wie Frühling an und das scheinen neben den Krokussen und Schneeglöckchen (‚snödroppe‘) auch die Kraniche zu realisieren. Mitte März lärmten zehn Exemplare plötzlich über meinem Kopf.

Es war ein sehr seltsames Gefühl, die Vögel wiederzusehen. Eine Mischung aus Freude und Melancholie. Schön, dass sie zurück sind und der Winter mehr und mehr um ist. Aber auch der Gedanke, wie schnell in Retrospektive die Zeit seit Oktober verging. Was dazwischen alles passiert ist. Und jetzt ist schon fast Ostern. Überall sieht man Zweige, die mit bunten Federn verziert sind. Das nennt sich ‚påskris‘ und ist mit dem Schmücken von Büschen mit Deko - Eiern zu vergleichen.

Der südschwedische Winter mag kalt sein, ich hatte einen außergewöhnlich kalten und schneereichen Winter erwischt. Allerdings ist der Winter auch eine magisch schöne Zeit. Nicht wegen Weihnachten oder sonstigem Brimborium. Es ist schwer zu beschreiben, aber die Stimmung, das geringe Licht und das Wetter machen hier etwas mit einem. In Deutschland kam mir der Winter als unangenehm und dunkel vor und ich erwartete den Frühling ungeduldig. Hier fiel mir diese Zeit auf eine Art leichter. Ja, es war dunkel. Aber so schlimm war es nicht. Eher bemerkenswert.

Jetzt gewinnt der Frühling die Überhand, die ersten Blumen und Büsche treiben aus, die Kraniche sind zurück. Und es ist wieder mehr Tag als Nacht. Überall herrscht emsiges Arbeiten. Wege werden repariert, Anhänger mit Grünschnitt werden weggefahren und gestern habe ich die Sommerreifen aufgezogen.

 

Am 21.03. war der Welttag des Down – Syndroms. Warum genau an diesem Tag? Wegen drei in einem Paar. Beim Down – Syndrom hat man im 21. Chromosomenpaar ein drittes Chromosom.

Das Ding der Woche war also ‚Down – Syndrom‘ und die Kinder waren vollends fasziniert von der Genetik dahinter. Sie sprudelten de facto vor Fragen und Neugierde über. Außerdem waren sie tolerant und offen. Keiner lachte oder sagte etwas Negatives über die Tatsache, dass Menschen mit Down – Syndrom etwas anders aussehen. Ein Kind sagte sogar: ‚Was ist denn so besonders daran? Man sieht zwar anders aus und kann manche Sachen unterschiedlich gut, aber ist das nicht bei allen Menschen so?‘

Vor allem aber war es für die Kinder selbstverständlich, dass alle Menschen, egal welche Hautfarbe, Religion, Behinderung oder Beeinträchtigung sie haben, gleichviel wert sind. Und genau das zelebriert man hier in Schweden am Tag des Down – Syndroms damit, dass man zwei verschiedenfarbige Socken anzieht. Man hat zwar unterschiedliche Socken an, aber es sind immer noch farbenfrohe Socken. Das nennst sich hier ‚rocka sockorna‘, also ‚Rock die Socken‘. Und ein Großteil der Schüler*innen und Kolleg*innen hat am Freitag vor dem 21.03. (Sonntag) mitgemacht.

 

Das war mein März.

 

Wir lesen uns in einem Monat!

Bis dahin, macht es gut.

 

 

Stephan

 

 

 

April 2021 – Frühling, Corona und andere Verwirrungen

 

Hallo in die Heimat – dies ist bereits der vierte Blog dieses Jahres und allmählich kommt die Ziellinie in Sichtweite.

Man kann die verbleibenden Monate mit einer Hand abzählen und braucht nicht mal alle Finger.

Wie dem auch sei, es folgt ein Rapport über meinen Monat.

 

Zur großen Überraschung war wie in Deutschland auch hier in Schweden zu Beginn des Monats Ostern. Doch vor Ostern, am ersten April, begeht man auch hier die Tradition, jemanden in den April zu schicken. Vermutlich, um zu testen, ob alle den Winter auch wirklich überlebt haben und nicht einfach so durch die Gegend wandeln – meine Vermutung.

 

Was kann ich zu Ostern sagen? Also Ostern ist eigentlich wie in Deutschland; bis auf eine Sache.

Hier ist es an Ostern den Brauch, dass sich Jungen und Mädchen verkleiden. So trug es sich zu, dass die Mädchen mit Kleidern, Zöpfen, Kopftüchern und aufgemalten Sommersprossen in die Schule kamen und dabei aussahen, als wären sie einem bäuerlichen Historienfilm entflohen. Auch die Jungs sahen aus, als kämen sie direkt vom Bauernhof von vor 150 Jahren. Man bekommt lebhaft vor Augen geführt, dass Schweden bis vor noch nicht allzu langer Zeit ein stark bäuerlich dominierter Staat war. Und ich auf der wilden Ostseite Ölands kann davon noch heute ein Liedchen trällern. Gerade jetzt, wo die Feldarbeit wieder losgeht, sind die Straßen mit Dreck und Steinen von den vielen Traktoren übersät. Doch ich schweife ab...

 

Diesen Gründonnerstag (‚gröntorsdag‘) hatten die Lehrer der Grundschule im gesamten Schulhofpark gedruckte und dann laminierte Eier auf Papier in Bäumen, hinter Sträuchern oder sonst wo versteckt. Und zwar für alle Klassenstufen. Also machte sich die gesamte Schülerschaft daran, diese Eier zu finden, um einen Preis einzuheimsen. Die Lehrer hatten mit der Suchfreude der Schüle nicht so wirklich gerechnet, weshalb auf knapp 500 Schüler nur etwa 25 Eier kamen. Wenn dann Schüler zu den betreffenden Lehrern gingen, um mitzuteilen, dass nach viermaligem Schauen noch immer kein Ei unter jenem Stein liege, hörten die Schüler, dass noch überall Eier zu finden seien. Ich persönlich fand die Idee an sich gut, aber bei der Durchführung musste ich leider den Kopf schütteln.

25 der 500 Schüler gingen an diesem Tag etwas glücklicher in den Unterricht und dem Rest blieb nur die Hoffnung, dass bei der heimischen Eiersuche am kommenden langen Wochenende bessere Organisation stattgefunden haben möge.

 

Ansonsten bot die Fritid auch diese Osterferien wieder ihr gewohntes Programm mit Ausflügen nach Lindö, Basteleien, Filmvorstellungen und vielen Spielen an der frischen Luft für die Kinder an, die nicht zuhause blieben. Wir hatten immer etwa 20 bis 25 Kinder, was somit entspannteres Arbeiten erlaubte.

 

Als die Schüler an jenem Gründonnerstag das Schulgelände verlassen hatten, traf ich mich mit ein paar Kolleg*innen in der Schule zum gemütlichen Beisammensitzen. Da wir eh alle tagtäglich ohne Maske auf der Arbeit rumlaufen, sah auch ich dieses Treffen nicht so ernst. Und es war ein wirklich schöner Abend: wir plauderten über Gott und die Welt, spielten Spiele und kämpften in Teams beim Allgemeinwissensquiz. Wir tranken alle ein paar Bier und lachten viel. Da am nächsten Tag ja eh keine Schule war, übernachtete ich auf einem Sofa im Personalraum, was alles super funktionierte. Einigermassen frisch fuhr ich am nächsten Morgen nach Öland und setzte mich an den Laptop, um die ersten Bewerbungen rauszuschicken.

 

Der April bestand bei mir zu großen Teilen aus Vorbereitungen für die Zukunft. Ich führte diesen Monat vier Online - Vorstellungsgespräche durch und bekam, Gott sei Dank, schon Mitte/Ende des Monats Zusagen für KiTas. Somit geht es bei mir jobtechnisch nahezu nahtlos weiter.

 

Die andere Hälfte der Vorbereitungen entfiel auf die Heimreise. Mit den derzeitigen Restriktionen und Anforderungen muss man früh genug zu planen anfangen. Dänemark will einen negativen PCR- Test, selbst dann, wenn man ohne Pause durchfährt. Wie stelle ich das zeitlich mit der Abstrichentnahme und dem letzten Tag an? Auto packen? Muss ich durch Dänemark oder ist die Fähre nicht besser?

Im Hafen von Trelleborg kann ich mich mit einem Schnelltest testen lassen, bekomme schnell das Ergebnis und kann dann, bei negativem Test, auf die Fähre. Aber vorher die elektronische Anmeldung zur Einreise nach Deutschland nicht vergessen. Und der Test darf bei Einreise auch nicht älter als 48 Stunden sein. Also dementsprechend die Fähre buchen.

Und bis dahin kann sich immer noch etwas ändern.

Langsam hab ich keine Lust mehr. Es nagt an den Nerven.

Hier in Schweden sieht man gar nichts davon, dass eine Pandemie herrscht. Restaurants haben bis 20.30 Uhr auf, Maskenpflicht: Pustekuchen und so weiter. Der einzige Lichtstrahl sind die voranschreitenden Impfungen.

 

Was ist sonst noch passiert?

 

Vor einer Woche ist in der Mörbylånga kommun, am südwestlichen Öland, ein Walkalb tot angespült worden. Mir war bis dahin nicht bekannt, dass die Ostsee als abgeschnittenes Flachmeer überhaupt Walarten beherbergt. Eine schnelle Recherche später, wusste ich, dass gerade in den letzten zehn Jahren vermehrt Walsichtungen gemeldet wurden. Und auch von ordentlichen Kalibern. Das jetzt verendete Kalb ist ein Buckelwalkalb und die Mutter wird noch irgendwo in der Nähe vermutet. Von der Nordsee an der Nordspitze Jütlands bis Öland ist es schon ein Streckchen.

 

Der April ist ein Frühlingsmonat. Ja, theoretisch schon. Wie in Deutschland, war es auch hier diesen Monat zu kühl für die Jahreszeit. Mehr als 12 Grad wurden bei mir nie erreicht, auch wenn die Meteorologen den Frühling nahezu in Trance herbeizaubern wollten, indem sie immer von ‚vårvärme‘ (Frühlingswärme) sprachen. Aber immerhin, nach dem Winter, ist eine Nacht mit minus zwei Grad nahezu lau und das Scheibekratzen geht auch klar. Ich persönlich fühle mich noch nicht wie im Frühling. Eher stecke ich irgendwo zwischen Winter und ‚bald müsste der Frühling doch mal anfangen‘ fest. Die fast 15,5 Stunden Sonnenlicht tragen erfolgreich zur Verwirrung bei. Gerade stehen die Osterglocken in voller Blüte, die ersten Tulpen zeigen zarte Knöpfe, die ersten Bäume werden zartgrün und Hecken tragen weiche Blüten. Also alles, wie im Frühling; oder so. Aber es muss Frühling sein, weil gerade die Nachbarn angekommen sind, die neben mir ihr Sommerhaus haben.

 

Letzte Woche baute unser Hausmeister ein etwa halbmeter hohes Oktagon aus Holz und verschraubte es im Asphalt. Warum? Weil wir Gaga – Boll spielen.

Gaga – Boll ist ein einfach zu erklärendes Spiel, das Mut, Treffsicherheit und vor allem Ehrlichkeit fordert.

Bei Gaga – Boll gibt es zwei Bälle, die von jedem der circa 20 Spielern in einem Oktagon gestoßen werden dürfen. Wird man von einem Ball unterhalb des Knies getroffen, scheidet man aus. Oberhalb des Knies, wo der Ball nie landen sollte, zählen die Treffer nicht. Das Schießen der Bälle, das Werfen aus dem Oktagon und Festhalten der Bälle mit beiden Händen sind verboten und haben das Ausscheiden des Verursachers zur Folge. Ist man raus, so darf man zudem nicht mehr ins Spielfeld greifen, sollte klar sein.

Das waren die Regeln.

Die Kinder mögen das Spiel sehr und sie spielen es jede Pause oder während der Fritid. Jedoch entstehen auch spannungsgeladen Momente, wenn jemand nicht rausgeht, wenn man getroffen wurde, stur behauptet wird, man sei nicht getroffen worden und man sich dann unfair behandelt fühlt. Wie gesagt, es ist ein tolles Spiel, aber Ehrlichkeit ist Grundvoraussetzung.

 

Ich bin heute am Freitag zuhause, weil es gestern einen positiven Coronafall in der dritten Klasse gegeben hat. Daraufhin wurden die Klassen eins bis drei bis Montag nächster Woche vom Unterricht befreit und auch die Fritid fällt aus. Die Vorschulklasse jedoch, die auch Kontakt zu den anderen Schülern hat, ist präsent. Naja, die Logik. Es gab bisher schon einige Fälle, wo die Eltern coronapositiv waren, die Kinder dann in Quarantäne gingen und nach einer Woche wieder zurückkamen. Mit fehlenden, ernstgemeinten Restriktionen ist es klar, dass die Ansteckungszahlen hier durch die Decke gehen. Ich trage FFP2 Masken.

 

Und nun zum Abschluss möchte ich noch einen Netflix – Hinweis geben.

Wenn ihr kein Problem mit Englisch habt und wissen wollt, wie die Schweden so ticken, empfehle ich euch Al Pitcher. Das ist ein relativ lustiger Neuseeländer, der jetzt mit seiner schwedischen Frau und den Kindern in Stockholm lebt. Die Specials heißen ‚Fy Fan!‘ (der schwedische Standardfluch) und ‚Sverige Syndrome‘. Er behandelt alltägliche Angewohnheiten der Schweden, die humoristisch analysiert werden. Zur Abendunterhaltung vollkommen ausreichend.

 

Heute, am ‚valborgsmässoafton‘ (Walpurgnisnachtsabend), endet der April und somit mein neunter Monat in Schweden.

Jetzt kommt ein neuer Mai.

 

Wir lesen uns in einem Monat!

Bis dahin, macht es gut.

 

 

Stephan