Mai 2021 – mot ljusare tider

 

Am Montag ist der Wonnemonat bereits Geschichte und deshalb folgt nun der Blog über das, was ich hier im Mai erlebt habe.

 

Wir beginnen auf der Arbeit:

 

Die Arbeit diesen Monat war zum Glück ruhig und normal. Alle Handgriffe und Abläufe haben sich harmonisch eingespielt und laufen ohne größere Unruhen. Seit Anfang diesen Monats trage ich auf der Arbeit, selbst draußen, FFP2 Maske und stehe damit meinen Kolleg*innen in Deutschland in nichts nach. Erst im Nachhinein ist mir nämlich zu Ohren gekommen, dass in den höheren Klassenstufen (‚högstadiet‘) sowohl unter den Schüler*innen als auch beim Kollegium einige positive Fälle auftraten und dies wahrscheinlich noch immer passiert. Aber das ist kein Grund für meine Kolleg*innen, nicht zu sechst auf einem Sofa in einem kleinen Raum zu sitzen, während keiner Maske trägt oder das Fenster geöffnet ist. Stört auch beides bei der Fika.

Marcus hat sich Mitte/Ende Mai testen lassen und war zwei Tage zuhause – negativ. Mein Kollege Frederick kam gestern aus der Quarantäne zurück. Diese im Endeffekt selbst herbeigerufenen Hemmungen, die, meiner Meinung nach, mehr einschneiden und nerven, als Maske zu tragen, werden akzeptiert. Viele meiner Kolleg*innen haben Angst vor einer Infektion; Maske trägt niemand.

 

Ich persönlich esse nicht mehr zusammen mit der Förskoleklass. Zwar richte ich das Essen final noch her und verteile es an die Kinder, aber wenn das erledigt ist, nehme ich mir meine Portion und gehe in einen anderen Raum, wo ich eine halbe Stunde vorher das Fenster kippe. Während meiner Pausen gehe ich ein wenig durch die Stadt, um nicht mit Maske drinnen sitzen zu müssen. Außerdem kann die Maske dann ein wenig durchlüften.

Und all das mache ich, damit mein Schnelltest für die Heimreise negativ ist.

Immerhin ist es temperaturmäßig jetzt wieder erträglicher möglich, länger draußen zu sein.

 

Anfang dieser Woche kam ein neuer Schüler in die erste Klasse. Übernächste und damit in der letzten Woche vor den Ferien kommt noch ein neuer Schüler. Bei vielen der Kinder bin ich neugierig, wie sie sich weiterentwickeln und zu was das Leben sie formt. Natürlich macht man sich bei manchen Kindern ernstere Gedanken als bei anderen. Aber Genaueres werde ich vermutlich nie erfahren.

 

Am 12. Mai war in Schweden ‚fritidshemdag‘, also der offizielle Feiertag der Schulbetreuung. Ja, sowas gibt es hier. Da das Wetter Anfang des Monats beinahe sommerlich war, grillten wir und hatten einen schönen Nachmittag bei Sonne und blauem Himmel.

Gestern hatten wir mit der gesamten Schule ‚städdag‘, also Aufräumtag. Die Förskoleklass und die erste Klasse haben sich dabei den Schulpark vorgenommen. Höhere Klassenstufen  waren in der Stadt verteilt. Obgleich der Schulpark eigentlich sauber aussieht, hat alleine die Ettan vier Mülltüten mit ‚skräp‘ und ‚plastpåse‘ aufgesammelt. ‚Håll Sverige rent‘ – „Halt Schweden sauber“ war das Motto der jährlichen Aktion. Hoffentlich hat dieses Umweltbewusstsein Bestand. Sicher bin ich jedoch keineswegs.

 

Wir fahren mit etwas Kulturellem fort:

 

Rund um den zehnten Mai trafen sich die Samen, die nativen Stämme Norwegens, Finnlands und Schwedens, zum Sameting. Bei dieser Versammlung, die es seit Menschengedenken gibt, werden Rentiere gehandelt, Fischfangquoten bestimmt und sonstige wichtige Dinge beschlossen. In den Nachrichten sah man im Beitrag faszinierend bunt geschmückte Kleidungsstücke, die warmhalten. Auch die Muster waren toll. Auf SVT2 kommen jeden Abend Nachrichten auf Samisch. Die Sendung heisst ‚Oddasat‘ und ich verstehe kein Wort. Der Technik sei Dank werden die Beiträge schwedisch untertitelt. Alleine, dass es eine solche Sendung gibt, ist eine großartige Sache und könnte sich von so mancher Weltmacht westlich des großen Teiches abgeschaut werden.

 

Letzten Samstag habe ich mir mal den ESC angeschaut. Nicht, weil ich mir gute Musik erhofft hatte, sondern, weil ich die schwedischen Kommentare anhören wollte. Eigentlich interessiert sich hier niemand wirklich für den ESC. Jedenfalls hab ich das aus Gesprächen mit Kindern und Kolleg*innen so erfahren. In diesem Punkt sind sich die Europäer mal einig.

 

Und dann muss ich noch etwas vermitteln, bei dem mir persönlich die Krawatte schwillt.

EPA - oder auch A – Traktoren.

 

Dabei handelt es sich laut Gesetz um Traktoren. De facto sind es jedoch umgebaute, meist ziemlich schrottreife Autos, denen ein Traktor- oder Aufsitzrasenmähermotor eingebaut wurde. Dennoch: Auch diese Vehikel werden technisch in Augenschein genommen. Solch kriechende Bremsblöcke dürfen ab dem 15. Lebensjahr mit einem speziellen Führerschein bedient werden, aber nicht schneller als 30 bzw. 40 Km/h laufen. Meist erkennt man ihre Existenz an langen, polonäseartigen Blechlawinen, besonders gerne an den Steigungen der Ölandbrücke. Außerdem haben alle langsam fahrenden Fahrzeuge ein orangenes Warndreieck auf dem Heck, damit man sie von Weitem erkennt.

Die pubertierenden Besitzer verzieren ihre Untersätze mit Unmengen an Wunderbäumen, blinkenden Felgen und teils Fuchsschwänzen. Im Inneren findet man eine platzeinnehmende Bassanlage auf der gesamten Rückbank und die Schallwellen spürt man auch, wenn man an ihnen vorbeifährt. EPA – Musik ist eine eigene Richtung und eigentlich nur Bass, zu welchem der Lenker der Fahrzeugs rhythmisch den Kopf wippt und lässig die Hände auf dem Lenkrad platziert. Stellt euch darauf ein, wenn ihr hierherkommt.

 

Allgemeines:

 

Gestern hatte ich dann auch schon das Abschluss- und Reflexionstreffen mit meiner Mentorin Judith, meiner Chefin Kristin und Herrn Becker. Es ist im Nachhinein verblüffend, wie schnell die Zeit doch verging. Erst gestern, so scheint es, kam ich hier an und entdeckte die Kirche in Runsten, oder ging vollkommen tourimäßig mit Rucksack und zwei Litern Wasser ans Meer. Weil das ja auch nur mit einer Durchquerung der Sahara zu erreichen ist.

Jetzt weiß ich es besser und werde mich auch in der verbleibenden Zeit auf den Weg zum Meer machen. Da es nun wirklich Frühling geworden ist, hat mich auch die Winterstimmung verlassen. Das Maß an Dunkelheit im Winter wird jetzt durch das andere Extremum abgelöst.

 

Im Fernsehen und im Netz zeigt SVT das Format ‚Mot ljusare tider‘ („Gen hellere Zeiten“). Hier kann man ein bisschen wie beim Alpenpanorama sehen, wie der Frühling in ganz Schweden Einzug hält. Und das kann ich auf der Ostseite Ölands nur bestätigen. Die Sonne geht um 04:09 Uhr auf und geht um 21:31 Uhr unter. Aber von allumfassender Dunkelheit in der Zeit dazwischen kann man nicht sprechen. Im Norden bleibt bei klarem Wetter immer ein Rest hellblau im Himmel. Und die Dämmerungen sind in die Länge gezogen. Um elf Uhr abends ist noch alles so hell wie an einem verregneten Tag. In Nordschweden steht die Mitternachtssonne.

 

Raps und Flieder blühen um die Wette und die Vögel singen bis zur Heiserkeit. Die Hälfte meines Strandabschnittes ist jetzt wieder für Kühe gesperrt und mir somit verwehrt. Das ist schade, weil es gerade dieser Teil am Strand war, zu dem ich am liebsten hinging. Naja.

Mein Vermieter hat seinen Aufsitzrasenmähermotor noch keinem A – Traktor vermacht, sondern benutzt ihn mit Inbrunst seit Anfang Mai zum Mähen. Auch die Terrasse ist frisch gekärchert.

Nächsten Monat ist schon Mittsommer, somit gehen wir wirklich mot ljusare tider.

 

Wir lesen uns in einem Monat.

Bis dahin, macht es gut!

 

 

Stephan

 

 

 

Juni – Ein Monat, zwei Leben

 

Hejsan allihoppa!

Dies hier ist mein letzter Blog zu meinem ERASMUS – Jahr in Schweden. Kaum zu glauben, dass die Zeit so schnell vorbeiging.

Was diesen Monat alles passierte, folgt sogleich.

 

Anfang Juni bekommen die schwedischen Schulkinder bereits Sommerferien (‚sommar lov‘). Und zwar alle Kinder in ganz Schweden gleichzeitig, weil die Bildungspolitik nicht föderal, sondern zentralistisch aus Stockholm heraus geregelt wird. Während deutsche Schüler*innen also zuhause vor dem Laptop in Onlineklassen zu lernen versuchten, hatten die neunten Klassen an der Södra Skolan ihre Abschluss- und Mottowoche in Präsenz. Jeden Tag zog man sich andere lustige Kleidungsstücke an, um das Nahen des Schulabschlusses zu zelebrieren. So sah man Superhelden und dergleichen. Man kennt es ja.

 

Gleichzeitig bereiteten sich die Förskoleklass- Lehrerinnen und die Fritids auf die neuen Kinder vor, die ab August, in Schweden sagt man ‚på hösten` (also zum Herbst hin), neu auf die Schule kommen werden. Dazu gab es einen Informationsabend und es wurde de facto ein roter Teppich ausgerollt. Es ist ein ewiger Kreis und für Nachwuchs ist ausreichend gesorgt.

 

Und dann war am 06.06. schwedischer Nationalfeiertag und Flaggentag (‚flaggansdag‘).

Selbstredend sah man schwedische Flaggen und Wimpel allerorten. Mehr als sonst, obwohl unter dem Jahr eigentlich überall blau und gelb gegen den Himmel stechen. Aber, so sagten mir Kollegen, die meisten hissen einfach nur die Flagge, erkennen aber die Mittsommertage als ihre eigentlichen Nationalfeiertage an.

 

Und ich denke, dass dem Folgendes zu Grunde liegt:

 

Die schwedische Regierung hat damals, in grauer Vorzeit, den Nationaldag auf den 06.06. gelegt, weil an diesem Tag im Jahre 1523 Gustav Vasa zum König ernannt wurde. Jetzt kann man sich fragen: ‚Wer ist das?‘

 

Gustav Vasa war der erste schwedische König nach der jahrhundertelangen Regentschaft der Dänen im heutigen Schweden im Zuge der Kalmarunion. Man kann sagen, dass die Kalmarunion, die einen Großteil der Fläche Skandinaviens und sogar die Orkney-, Färöer- und Shetland- Inseln sowie Island einbezog, eine enorme Vereinigung an Land und Menschen war. Zwar wurde die Union im Kalmarer Schloss beschlossen, jedoch hatte diese nie ratifizierte Union ihr Zentrum in Kopenhagen.

Skåne, Halland und Blekinge gehörten sogar ganz zum dänischen Reich.

Aber der liebe Herr Vasa und andere, vor allem die Bauern, waren der Situation müde gewachsen und so wurde Gustav Vasa am 06.06.1523 König, nachdem es in Stockholm ein enormes Blutbad gab und die Grundlage für den noch heute existenten Vasalauf gelegt wurde.

Das nun freie Schweden war ein freies Reich und Vasa regierte bis 1560. Bis dahin war die erbliche Thronfolge in Schweden geregelt.

 

Grund zwei, warum der 06.06. nationaler Feiertag ist, hat damit zu tun, dass 1809 die erste schwedische Verfassung verabschiedet wurde, welche bis 1974 Bestand hatte.  

 

Obgleich all dies historisch und sozial wichtige Einschnitte in der schwedischen Gesellschaft und Politik mit sich brachte, ist den Schweden der jährliche ‚Midsommardag‘ viel näher am Herzen. Ganz einfach, weil diese Tage mit der Familie zusammen verbracht werden, es gutes Essen gibt und eine ausgelassen fröhliche Zeit rund um die ‚majstång‘ verbracht wird.

In dieser Zeit der ‚weißen Nächte’ Ende Juni, wenn im Norden immer noch die Sonne am Firmament zu erahnen bzw. tatsächlich zu sehen ist, schmausen die Schweden mit Köttbullar, ‚sill‘ (Hering) und Erdbeeren, die unter Sahne ertrinken. An diesem Tag der nationalen Extase lässt man es sich gut gehen und genießt das duftende Gras, geht schwimmen, lauscht den grünen Bäumen, durch die der Wind raschelt und vielleicht schaut sogar ein Elch vorbei. Mückenstiche werden lachend hingenommen.

Doch all das habe ich nicht miterlebt, weil für mich meine Zeit mit dem Beginn der Sommerferien zu Ende ging.

 

In den letzten Wochen vor der Rückfahrt stand auf der Arbeit viel Organisatorisches an. Zusammen mit meiner Mentorin und meiner Chefin traf ich mich online mit Herrn Becker, um das Jahr zu reflektieren und Weiteres zu besprechen. Papiere wollten ausgefüllt und gestempelt werden und so war mein letzter Arbeitstag auch schon da.

 

Ich wurde jeweils von der Fritids, der Schulleitung und der Ettan (1.Klasse) verabschiedet. Dazu bekam ich tolle Geschenke: viele selbstgemalte Bilder mit Momenten, ein Brettchen mit der Ölandbrücke darauf, eine Elch-Kappe, weil die Deutschen bekloppt nach Elchen sind, ein Buch mit allen Grey of the Week, also allen Dingern der Woche, die wir besprochen hatten und einem schwedischen Fußballtrikot, damit ich ‚auch ja das richtige Team unterstütze‘.

Mit den Geschenken, neuen Bekanntschaften und tollen Erfahrungen stand jetzt die Heimreise an. Die Koffer hatte ich im Laufe des letzten Monats peu à peu gepackt, weshalb das Auto schnell und sicher beladen war. Man sah nicht, dass alles, was ich in einem Jahr bei mir hatte, in ein Auto passte.

 

Am 11.06. machte ich mich morgens gegen sieben Uhr in Richtung Hafen in Trelleborg auf, weil ich aufgrund der Coronarestriktionen eine Durchfahrt durch Dänemark für zu riskant hielt. Nachdem mein Schnelltest im Hafen Trelleborgs jedoch negativ war und ich nochmals auf den Seiten der dänischen Behörden Bedingungen nachgelesen hatte, skippte ich die Fähre und konnte ohne Probleme, sogar ohne angehalten zu werden, durch Dänemark fahren. Zu der Zeit, als meine Fähre ablegen sollte, war ich bereits in Flensburg. Nach meinem Erlebnis im November entschied ich mich gegen eine Übernachtung dort und fuhr durch, bis ich am 12.06. gegen Viertel vor eins nachts zuhause ankam.

Dabei wunderte ich mich, wie dunkel die Nächte in Deutschland im Juni tatsächlich sind. Hier wird es nachts richtig dunkel. War ich gar nicht mehr gewöhnt.

Da ich bereits in Flensburg während einer Pause den vom RKI geforderten Testnachweis im Internet hochlud, musste ich nicht in Quarantäne. Nach einer Mütze Schlaf überraschte ich also den Rest meiner Familie, denen ich gesagt hatte, dass ich erst Mitte Juli zurückkommen würde. Außerdem standen Besuche bei Freunden an.

Es war gut, sie alle wiederzusehen.

 

Und dann wollte die Zukunft geregelt werden. Termine beim Amt, beim Doktor und die Wohnungssuche füllten den Terminplaner. Und dem Himmel sei Dank hatte ich innerhalb von zwei Wochen eine Wohnung ganz in der Nähe meiner zukünftigen Arbeitsstelle sicher.

 

Obwohl ich erst knapp drei Wochen wieder zuhause bin, fühlen sich Schweden und die Erinnerungen daran sehr weit weg an. Ein bisschen ist es so, als ob ich nie weggewesen wäre.

Aber dann schaue ich auf meine neue Elch- Kappe an der Wand und habe Gewissheit.

 

 

Da dies mein letzter Blog war, möchte ich mich bei allen Leser*innen bedanken, die jeden Monat auf einen neuen Blog gewartet haben. Danke auch für das durchweg positive Feedback. Ich hoffe, ich habe Euch Schweden und seine Menschen ein wenig näherbringen und Interesse an einer eigenen Reise in dieses vielseitige und faszinierende Land wecken können.

 

Bleibt gesund und macht es gut!

 

 

Stephan over and out