November 2020 – Abhärtung

 

Hallo an alle und schöne Grüße in die Heimat. Ich bin zurück in meinem kleinen Häuschen auf Öland und der November neigt sich dem Ende zu.

And what a month it’s been!

 

Wie ihr im Oktoberblog gelesen habt, bin ich in den Herbstferien für eine Woche als Überraschung zu meiner Familie gefahren. Die Überraschung war gelungen, ich habe Freunde getroffen und die Zeit mit allen sehr genossen. Ende Oktober dann stand die Rückfahrt an und ich machte mich mit Zwischenstopp in Flensburg auf die Reifen in den Norden. Gegen 14 Uhr kam ich in Flensburg an und ging noch etwas durch die Innenstadt. Das Hostel machte nämlich erst um 16 Uhr auf.

In der Halloween-Nacht auf den ersten November wurde mir dann, von welchen Deppen auch immer, die Beifahrerscheibe eingeschlagen und ins Handschuhfach geschaut.

Als ich am frühen Sonntagmorgen gegen fünf Uhr losfahren wollte, sah ich, dass die Beifahrerseite komisch aussah, griff prüfend an die Scheibe und plötzlich ins Leere. Sowas kommt immer gut, besonders auf leeren Magen. Ich gönnte mir daraufhin einen kurzen Moment des Schocks, bevor nüchterne Klarheit das Ruder übernahm: erst Polizei anrufen, dann die Versicherung und dann mal schauen.

Das war dann auch der weitere Verlauf. Bei der Polizei wurden alle Daten aufgenommen, ich bekam von unserem Freund und Helfer einen Sack zum Entfernen der Bruchstücke und Klebeband zur notdürftigen Abdichtung. Nachdem ich die Versicherung angerufen und mich wieder ins Hostel begeben hatte, war ich froh, dass ich dort noch eine Nacht bleiben konnte. Dort gab man mir auch einen Plastiksack, mit dem ich mein Auto einigermaßen dichtmachte. Immerhin, wie konnte es auch anders sein, war Regen gemeldet.

In dieser Nacht ging ich drei Mal zum Auto, und checkte alles ab. Die "freundlichen" Carglasmitarbeiter in Flensburg gaben mir dann am nächsten Morgen die Auskunft, dass eine neue Scheibe erst in einer Woche da wäre und ein Provisorium wäre auch erst in zwei Tagen möglich – wegen hohen Kundenandrangs.

Nach einem kurzen Anruf mit meiner Mutter entschied ich mich, die Reise nach Schweden dann eben ohne Scheibe fortzusetzen. Der Plastiksack flog mir auf den ersten zwei Kilometern halb weg, sodass ich den Rest entfernte und bei zehn Grad, leichtem Regen und starkem Wind weiterfuhr. Der Polizist an der dänischen Grenze schaute zwar mal komisch in Richtung Scheibe, aber meine Papiere zur Durchfahrt waren in Ordnung und er ließ mich passieren.

Die Heimfahrt war, ohne zu übertreiben, kein Spaß. Auf der StoreBelt -Brücke und der Öresundbrücke haute der Wind so gewaltig ins Auto, dass ich betete, dass meine Fahrerscheibe ganz bliebe. Dann setzte stärkerer Regen ein und dabei noch LKW überholen, ist auch eine Erfahrung für sich.

Durchgefroren und steif kam ich gegen 15:30 Uhr bei Carglass Kalmar an, es dämmerte bereits. Der Mitarbeiter hier war extrem hilfsbereit, unterbrach einen anderen Job und setzte mir bei meinem Anblick sofort ein Provisorium ein, das er zuerst noch zurechtschneiden musste. Eine halbe Stunde später hatte ich ein dichtes Auto. Eine Woche später hatte ich eine neue Scheibe. Aber dafür lag ich in dieser Woche vollends flach mit Fieber, Husten und Kopfschmerzen.

Die Schweden sind ein hilfsbereites und pragmatisches Völkchen. Wenn sie sehen, dass jemand wirklich in Schwierigkeiten ist, dann wird ohne zu fragen geholfen. Ich bekam von meinen Kolleg*innen das Angebot, dass man für mich einkaufen oder zur Apotheke gehen könnte. Und um die Arbeit solle ich mich jetzt auch erst einmal nicht sorgen. Es wäre alles gut und ich solle wieder richtig gesund werden.

Das war ich Mitte des Monats wieder und somit zurück auf der Arbeit. Hier hatte sich nichts verändert, weshalb mir der Einstieg leichtfiel. Jeden Mittwoch bin ich jetzt in der achten und neunten Klasse für eine Stunde im Deutschunterricht eingesetzt. Es ist witzig, dass sich Schüler in anderen Ländern dazu entscheiden, Deutsch zu lernen. Nach den ersten Grammatikstunden wird sich jedoch einige Enttäuschung bei den Lernende eingestellt haben. In der neunten Klasse machen die Schüler zum Abschluss jeder Stunde ein virtuelles Quiz, bei welchem sich jeder mit seinem Handy auf einer Seite anmeldet und die Schüler dann in Teams auf Zeit und gegeneinander Vokabeln übersetzen. Technik, die in Deutschland ihresgleichen sucht. Vielleicht bekomme ich die Chance, den Schülern in Form eines Längsschnittprojektes ein wenig historischen Kontext über Deutschland zu geben, den sie nicht aus Geschichtsbüchern erfahren. Mal sehen. Auf jeden Fall macht es Spaß, den Schülern beim Deutschlernen zuzusehen und sie ohne große Anstrengung zu unterstützen.

Mitte des Monats wurde dann für die ersten drei Jahrgangsstufen eine Kinder-Lese-Woche erarbeitet. Dabei wurden jeden Tag bekannte Schriftsteller*innen und deren Hauptfiguren vorgestellt; etwa Astrid Lindgren oder Selma Lagerlöf. Zum Abschluss der Barnläsningsveckan traf man sich zu einem „Flashmob“, wobei man sich für zehn Minuten mit einem Buch nach draußen setzte und las. Für die Eltern machten die Lehrer dann Fotos von ihren lesenden Kindern. Die Eltern werden geschockt gewesen sein.

 

Was mir zudem auffiel, waren rosa Schleifen, die von Frauen am Revers getragen werden. Männer hatten dafür bemerklich oft einen Schnäuzer. Wie sich herausstellte, ist der November hier der Monat der Brust- und Prostatakrebsvorsorge.

Beim Einkauf in Apotheken oder sonstigen teilnehmenden Läden können diese Schleifen erworben werden, wobei der Kaufpreis, etwa 1€, der Brustkrebsforschung gespendet wird. Männer lassen sich einen Schnäuzer wachsen und gehen dann eine Meile, wobei auch hier das „Anrittsgeld“ gespendet wird. Es ist toll, zu sehen, dass dieses Thema hier öffentlich gezeigt wird. Besser kann man Geld kaum investieren.

 

Und zum Schluss das Wetter:

Der Novembertag an sich ist wirklich ziemlich dunkel. Ich fahre im Dunkeln auf die Arbeit und wenn ich um 15:30 Uhr heimfahre, dann ist die Sonne bereits untergegangen. Es dämmert hier ab etwa 14 Uhr. Allerdings, so wurde mir zugetragen, ist dieser November fast fünf Grad zu warm und außergewöhnlich trocken. Normalerweise regnet es ab September und die Sonne zeigt sich kaum. Dieses Jahr herrschen auch Wolken, aber es regnet selten. Die Sonne konnte sich seit dem 20. November sogar für zwei Tage am Stück durchsetzen. Dann gab es Frost, also leichten Frost. So minus zwei Grad, was die Landschaft winterlich anzuckerte und bei den Schweden endgültig Weihnachtsstimmung auslöst. Meine Kollegen halten mich jeden Tag auf dem Laufenden, wie viele Tage es noch bis zum Heiligen Abend (Julafton) sind, bevor sie Weihnachtslieder anstimmen. Für die Weihnachtstage bin ich bei einer Kollegin zum gemütlichen Beisammensitzen mit ihrer Familie eingeladen. Das wird bestimmt interessant – schwedische Weihnachten.

Die Weihnachtsbeleuchtung ist jetzt auch überall montiert. In vielen Vorgärten stehen Holzpfähle, die in Tannenbaumform mit Lichterketten dekoriert sind. Und außerdem erstrahlt in den meisten Fenstern der obligatorische Adventsstern; ein Muss. Wenn wegen Corona schon das Luciafest ausfallen muss, so kann man sich an dieser Tradition jedenfalls weiterhin erfreuen.

Die Schweden haben eine geteilte Meinung zum Winter. Einerseits mögen sie die kühleren Temperaturen und Schnee, dafür frieren sie leicht. Bei minus zwei Grad werden schon Sportübungen zum Warmhalten gemacht – kein Witz. Erst wollte keiner warme Kleidung anziehen (ich berichtete) und jetzt steht man auf dem Schulhof, als ob man sich im nächsten Moment in den Skilift setzen würde.

Und obgleich sie die Sonne mögen, haben sie auch nichts gegen die Dunkelheit. Diese scheint in ihnen ein Gefühl von „Heimelichkeit“ und „Sich-in-warme-Decken-einkuscheln“ auszulösen. En lecker Teeschen dazu, passt.

Und ich gebe es zu, ich bin da keine Ausnahme. Es ist einfach gemütlich, mit einem Tee unter der Decke zu liegen und draußen ist alles dunkel und durchdringend still. Man hört hier bei mir auf Öland außer dem pfeifenden Wind wirklich nichts.

Aber die sich breitmachende Entschleunigung ist nach diesem aufregenden Monat nicht verkehrt.

 

Wir lesen uns in einem Monat.

Bis dahin, macht es gut!

 

 

Stephan

 

 

 

Dezember 2020 – Weihnachten

 

Nun ist auch der Dezember so gut wie vorüber und das bedeutet für mich, dass ein neuer Monatsblog darauf wartet, geschrieben zu werden.

 

Wie ihr aus der Überschrift entnehmen könnt, stand der Dezember komplett im Zeichen von Weihnachten. Ich dachte immer, dass man in Deutschland einen leichten bis mittelschweren Tick damit hätte. Bedenkt, dass ich hier in Schweden aufgrund von Corona nicht alle Traditionen miterlebt habe, aber die, die dennoch stattfinden konnten – Wow!

 

Doch beginnen wir der Reihe nach. Der Monat begann, wie man es sich wünscht: Am ersten Dezember schneite es. Die nassen Flocken blieben zwar nicht liegen, aber der Stimmung tat das keinen Abbruch. Schnee habe ich danach jedoch keinen mehr gesehen.

Als ich am ersten Dezember auf die Arbeit kam, herrschte eine freudig-nervöse Atmosphäre, wobei ich den Grund nicht ausmachen konnte. Also fragte ich nach. Es stellte sich heraus, dass es hier in Schweden jedes Jahr einen Julkalender auf SVT1 gibt. SVT1 ist das erste schwedische Fernsehen.

Das bedeutet, dass der erste schwedische Fernsehsender jeden Abend um 18:45h einen 15-minütigen Abschnitt einer Weihnachtsgeschichte ausstrahlt. De facto ist das ein Fernsehweihnachtskalender. Das könnte man sich bei der ARD nur schwer vorstellen. Die Geschichte dieses Jahr hieß ‚Mirakel‘ und handelte von Mira, die in 2020 und Rakel, die in 1920 lebt. Über ein künstlich hergestelltes und dann ausgebüchstes Schwarzes Loch tauschen die Mädchen, die im selben Haus leben, immer wieder die Plätze und verhindern etwa Brände, wobei Mira lernt, dass eine kleine Veränderung der Vergangenheit massive Folgen haben kann. Auch die veränderte Rolle der Frau wird thematisiert. An sich eine nette Idee, allerdings über lange Strecken etwas platt im Narrativ.

 

Spannender war es da schon in der Klasse. Pünktlich zu Beginn des Weihnachtsmonats zog in der ersten Klasse ein Nisse ein. Das sind die Helfer des Jultomte, welcher hier die Geschenke bringt. An der Wand über der Fußleiste zeigte sich ohne Vorwarnung eine kleine Haustür mit Briefkasten und eine Leiter, vor der ein kleines Paar schwarzer Stiefel stand. Die Kinder waren hin und weg. Immerhin lag auch noch ein kleiner eingerollter Brief dabei, in dem der Nisse seine Anwesenheit erklärte. Er hatte beschlossen, mal in die Welt zu ziehen, um zu sehen, wie echte Kinder sind. Jeden Morgen öffneten wir in der Klasse zuerst ein Türchen am Adventskalender mit netten Ideen (snällkalender) und dann lasen wir den neuen Brief vom Nisse. Morgens sah man, was der Nisse nachtsüber alles angestellt hatte. So stellte er zum Beispiel alles in der Klasse um oder hinterließ Mehl- und Plätzchenreste mit kleinen Fußabdrücken auf dem Boden. Im Laufe des Monats bekam er dann den Namen ‚Adventsnisse Sven‘ von uns, er wurde mit einem Gesicht versehen und wir erfüllten alle Aufgaben, die er uns stellte. Bis zum Beginn der Ferien war die ganze Klasse weihnachtlich dekoriert. Am letzten Schultag waren die Tür, die Leiter und die Stiefel dann weg. Nur ein Brief lag am angestammten Platz. So kurz vor Weihnachten hätten der Jultomte und alle anderen Nissen Unmengen zu tun, weshalb er in die Werkstatt zurückmusste. Er bedankte sich bei uns für die schöne Zeit und gab die Aussicht auf eine Rückkehr im nächsten Dezember.

Kommen wir nun zu weiteren schwedischen Weihnachtstraditionen.

 

Manche werden den Brauch kennen, dass man hier um den Weihnachtsbaum (Julgran) tanzt. Dieser Brauch ist eine wirklich schöne Sache. Man stellt sich in einen großen Kreis, fasst sich an den coronasicher - gewaschenen Händen und geht oder hüpft dann zu lustigen Liedern im Kreis um den Baum. Alle haben viel Freude daran und es macht selbst als Neuling wirklich Spaß. Man bekommt direkt ein Gefühl des Dazugehörens und die Schweden geben ihre Traditionen gerne preis.

Dazu gehört etwa auch das obligatorische Julbord. Das ist übersetzt der Weihnachtstisch. Und auf dem ist allerlei Leckeres zu finden. Standardmäßig vertreten sind gekochte Kartoffeln, Rote-Bete-Salat, Julschinken, Brot mit Lebkuchengewürz und Butter, Köttbullar, kleine Würstchen und Fisch in allen möglichen Varianten. Dazu trinkt man Julmost, ein colafarbenes aber noch süßeres Gebräu, das zu Ostern erneut verkauft wird, jedoch unter angepasstem Namen. Mache schwören, dass das Getränk zu Ostern anders schmeckt. Und obgleich die Herstellerfirma fast verzweifelt beteuert, dass es sich um dasselbe Rezept handelt, scheiden sich darüber dennoch die Geister. Sei’s drum, es schmeckt.

 

Und dann gibt es, jedenfalls hier in Kalmar, noch einen weiteren Brauch. Kurz vor Weihnachten erfährt man über lokale Nachrichtensender die genaue Uhrzeit für ein spezielles Ereignis.

 

Dabei handelt es sich um sieben bis acht Kampfjets, die in etwa 400m Höhe und mit geringer Geschwindigkeit in Weihnachtsbaumform einmal quer über die Stadt fliegen. Ich muss nicht erwähnen, dass dann fast alle draußen stehen und warten. Das ganze Spektakel dauert vielleicht vier Sekunden, aber Tradition ist Tradition und Traditionen definieren uns.

 

Eigentlich war es geplant, dass mich meine Familie über den Jahreswechsel besuchen kommt, doch dies ist wegen Corona nicht möglich. Schweden hat die Einreise aus Dänemark gekappt. Während Deutschland in den zweiten Lockdown geht, bleibt hier fast alles offen; bei einer Inzidenz von 883 Fällen pro 100.000 Einwohnern. Die Regierung hat jetzt ‚durchgegriffen‘ und angemahnt, dass man nötigenfalls Gesetze zur Eindämmung erlassen würde. Dann käme es zu Geschäftsschließungen oder Ähnlichem. Bis jetzt wurden jedoch nur Empfehlungen ausgesprochen. Eine Maskenpflicht gibt es nicht, jedoch sieht man immer mehr davon in der Stadt.

 

Mein Weihnachtsprogramm sah dann dieses Jahr wie folgt aus:

 

Zuerst gab es Mitte des Monats eine kleine Weihnachtsfeier der Grundschullehrer (acht Personen), bei der wir nach dem Essen gewichtelt haben. Das war ein schöner Abend, bei dem man die Kollegen auch mal nicht im Schulkontext erleben konnte.

 

Da ich weiterhin in der Fritid arbeite und diese auch in den Ferien auf hat , konnte ich bei stark verringerter Kinderzahl mal stärker auf die Kinder eingehen und mit ihnen agieren. Das ist eine gute Gelegenheit für ungestörte Beobachtungen.

 

Meine Kollegin Sanna hat mir dann noch den Julskogen in Rälla auf Öland empfohlen. Nördlich von Färjestaden gelegen, machen sich die Bewohner von Rälla jedes Jahr die Mühe und dekorieren einen vier Kilometer langen Waldweg mit allerlei Weihnachtsschmuck. Da war ich dann Heilig Abend. Man läuft durch diesen Wald und schaut eigentlich nur von rechts nach links, weil es überall Figuren und geschmückte Bäume gibt. Wenn man möchte, kann man gerne ein eigenes Dekoteil dort hinstellen. Selbst der örtliche Kindergarten hat eine Jultomte – Maske aufgehangen.

 

Und dann war ich am ersten Weihnachtstag bei meiner Kollegin Sara und ihrer Familie zum Essen eingeladen. Erst waren wir bei Sonnenschein spazieren, dann gab es Julbord und anschließend haben wir Triominos gespielt. Auch dies war ein wunderbarer Tag mit gemütlicher schwedischer Weihnacht.

 

Weihnachten ist nun vorbei und das Jahr hat auch nur noch wenige Tage über. So bleibt mir nur, euch einen guten Rutsch und ein gesundes und erfolgreiches 2021 zu wünschen.

 

Wir lesen uns im neuen Jahr.

Bis dahin, macht es gut!

 

 

Stephan

 

 

Januar 2021 – Ein Potpurri

 

Der erste Monat des neuen Jahres ist morgen offiziell vorbei, ich schreibe einen neuen Blog und am besten stellt ihr schon mal die Getränke für Silvester kalt. Bleiben nur noch elf Monate.

 

Der Januar in einer Nussschale: Abwechslungsreich und fordernd.

Und zwar deshalb:

 

Über die Weihnachtsferien hinweg stand für mich arbeiten in der Fritids auf der Tagesordnung. Auch wenn wir teils nur drei Kinder für vier Erwachsene hatten, war es dennoch nie wirklich langweilig. Tatsächlich war es sogar schön, mit den Kindern die entspanntere Zeit vollends nutzen zu können. Alltägliche Gespräche über Gott und die Welt, die im normalen Alltag zu kurz kommen, fanden nun einen Platz. Zudem nutzte ich die Zeit, um die Kinder in Ruhe zu beobachten – immerhin das A und O der Arbeit.

Meine Kollegen hatten abwechselnd Dienst oder frei, somit war ich als einziger jeden Tag da. Wir spielten alle Ballkrieg, wo wir uns mit weichen Bällen befeuerten, um die Burg der anderen Seite zu erreichen; malten Bilder, sangen zur Musik, spielten Brettspiele oder waren einfach draußen. Idyllisch.

 

Dann wurde ein Kollege positiv auf Corona getestet – aber natürlich erst, nachdem er mit uns auf der Arbeit war. Da ich jedoch weder eine schwedische Bank – ID, noch eine schwedische Krankenversichertennummer habe, konnte ich mir keinen Test bestellen. War mir eh lieber so. Stattdessen sollte ich mich isolieren und nach Symptomen Ausschau halten. Nach einer Woche war ich zurück auf der Arbeit. Auch der positive Kollege war zurück. Bei ihm verlief alles mit dem Verlust vom Geschmackssinn ab; zum Glück glimpflich.

Generell zur Corona – Lage hier lässt sich sagen, dass die Regierung nun mehr das Ruder in die Hand genommen und ‚strengere‘ Restriktionen beschlossen hat.

Heißt im Klartext: Anzahl der Kunden in Läden wird begrenzt, Bars und Restaurants dürfen Gäste empfangen, aber ab 18 Uhr keinen Alkohol mehr ausschenken und im ÖPNV gilt in der Rush hour Maskenpflicht (ansonsten gilt die nirgendswo). Im Vergleich zu Deutschland mehr als sanfte Maßnahmen, aber Verschärfungen behält sich die Regierung hier vor.

Mitte des Monats wurden in den Nachrichten Statistiken gezeigt, wonach, Stand vor zwei Wochen, mehr Leute im Krankenhaus waren, als letztes Frühjahr. 60% der Intensivplätze sind coronabedingt belegt. Über den Januar hinweg starben innerhalb von zwei Tagen, so gehen hier die Statistiken, um die 200 – 400 Leute. Ich trage seit Anfang des Monats Maske auf der Arbeit, damit bin ich bis auf wenige Ausnahmen ziemlich alleine.

 

Nun möchte ich euch ein bisschen von meinem Arbeitsalltag in der ersten Klasse erzählen.

 

Etwa die Hälfte des Tages bin ich dort eingesetzt und übernehme verschieden Aufgaben. Montags und freitags gehe ich mit fünf Kindern aus der Klasse in den Gruppenraum und wir arbeiten dort mit Computern. Haben sich die Kinder eingeloggt, arbeiten wir auf der Seite Skolplus an Mathe- und Schwedischaufgaben. Dabei lerne ich mindestens genau so viel wie die Kinder. Zum Glück wusste ich aber vorher den Unterschied zwischen Vokal und Konsonant. Hier in Schweden gibt es jedoch noch mehr Vokale. Neben A, E, I, O und U zählen hier auch Ä, Å und Ö dazu. Ebenso Y, welches gesprochen eine Mischung aus I und Ü ist. Für mich als Nicht – Native schwer bis nicht auszusprechen. Der Laut wird, wenn ich das richtig wahrnehme, halb uvular oder epiglottal und halb glottal gebildet. Also ziemlich weit hinten im Hals. Auf Nachfrage, wie man diesen Vokal ausspricht und wo er gebildet wird, kam keine hilfreiche Antwort.

Ansonsten gehe ich mehr und mehr auf Einzelbetreuung eines dyslexischen Jungen. Bei ihm fehlt oftmals die Verbindung zwischen Laut und dem Zeichen dafür, dem Buchstaben. Auch im Zahlenraum, einfache Addition oder Subtraktion, findet er sich nur mithilfe eines Nummernzettels zurecht. Wenn Aufgaben gestellt werden, setzen wir zwei uns zusammen und lösen diese gemeinsam, was erfreulicherweise schon besser klappt. So langsam kommt die Buchstaben – Laut – Verbindung und auch die Orientierung im Zahlenraum läuft an.

Dies ist ein positives Beispiel meines Jobs hier und gleichzeitig ein Grund, warum die komplexe pädagogische Arbeit nie einfache Lösungen bietet, aber oftmals umso erfüllender sein kann.

Wenn man sieht, wie sich zum Beispiel dieses Kind mit angemessener Hilfe Selbstständigkeit erarbeitet, belohnt mich jedes Lächeln.

 

Aber diesen Monat gab es auch genau das Gegenteil. Genauer gesagt, zwei gewalttätige Vorfälle eines Jungen, bei dem ein anderer Junge einen Milchzahn verlor. Beim zweiten Mal bekam ich und ein Kollege beim Beruhigungsversuch Kinnhaken und Tritte gegen das Schienbein ab. Die Eltern sehen die Schuld bei uns, weil sie uns vor solchen Situationen gewarnt hätten, wir aber handlungsinkompetent wären.

Das sind die Extrema des Jobs.

 

Es folgt das Wetter:

Habe ich letzten Monat noch groß getönt, dass ich keinen Schnee mehr gesehen habe, so kam dieser Mitte Januar mit Minusgraden und Wind. In Mittelschweden fielen innerhalb von 24 Stunden 70cm Neuschnee und dort herrschen noch immer Tagestemperaturen von -25 Grad. Auch ich hier im Süden habe 15cm Schnee und -8 Grad in der Nacht. Tagsüber pendele ich um den Gefrierpunkt. Laut Kollegen ist das ein normaler Südschwedischer Winter und sie freuen sich über jedes Flöckchen.

Straßen werden grob vom Schnee freigepflügt und dann nicht mit Salz, sondern Splitt gestreut. Und das hinterlässt Spuren auf der Windschutzscheibe. Gestern musste ich mein Auto aus dem Schnee freischieben und der Vermieter pflügte den meisten Schnee weg.

 

Das Positive des Winters aber, ist, dass wir mit den Kindern nachmittags Schlitten fahren gehen können. Ironischerweise ist der dafür nützliche Hügel direkt neben dem Gefängnis. Für die Insassen muss die Freude der Kinder die Hölle auf Erden sein. Psychischer Terror vom Feinsten. Aber den Kindern gefällt’s. Nasse Socken und Sonstiges werden erst auf dem Heimweg beklagt und die Thermokleidung wird wie selbstverständlich angelegt. Die Seen, die nach den herbstlichen Regenfällen auf den Wiesen entstanden sind, stellen jetzt eine riesige Eisfläche dar, auf denen Hasen, Rehe und Füchse laufen können. Unter dem Eis sucht sich das Wasser einen Weg zum Meer und versieht dabei den Strand mit tiefen und breiten Flüsschen. Jede Woche finde ich so am Strand ein anderes Bild vor. Aber der Himmel ist oft blau und die Sonne scheint wohltuend.

 

Zum Schluss, auch wenn es manche stören mag, muss ich die Sonnenscheindauer erwähnen.

Sonnenaufgang 31.01.: 07:54h; Sonnenuntergang: 16:22h.

Damit habe ich im Vergleich zu Mitte letzten Monats gute eineinhalb Stunden mehr Sonne. Dem Himmels sei’s gedankt. Jetzt gewinne ich pro Tag etwa vier Minuten; gut so.

 

Auf dass es besser werden möge.

Wir lesen uns in einem Monat. Bis dahin, macht es gut!

 

 

Stephan